Cohousing ist die Weiterentwicklung der Hippiekommune, es ist die hippe Gemeinschaft 2.0. In den letzten fünf Jahren entstandenen sehr viele Gemeinschaftsprojekte, viel mehr sind noch in Planung. Es ist beinahe trendy geworden in so einem sozial vernetzten Ambiente zu wohnen.
Der Aufschwung gemeinschaftlicher Wohnformen ist erklärbar durch den Zerfall der klassischen Familienstrukturen, Aufspaltung und Vermischung vormals fein getrennter Gesellschaftsschichten, der zunehmenden kulturellen Desorientierung durch Globalisierungseffekte und Migrationsbewegungen und der Erosion der eigenen Identität, als eine Folgeerscheinung der zuvor genannten Entgrenzungen.
In einer Welt, die in Bewegung geraten ist und aus dem Rahmen fällt, erscheint eine soziale Einrahmung manchen als stabilisierendes Element. Bezogen auf Gemeinschaftsprojekte ist es eigentlich eine verkehrte Welt: waren die Hippiekommunen in den 1960ern und 70ern eine soziale Experimentiermöglichkeit, um vorherrschende starre und z.T. lähmende Gesellschaftsmodelle zu revolutionieren, so ist die weitgehend pragmatische und ideologiefreie Weiterentwicklung der Kommunen zum Cohousing mittlerweile ein Hort geworden, in dem die latente Sehnsucht nach stabilen sozialen Verhältnissen, einer geistig wie kulturell homogenisierten Nachbarschaft und einer gemeinsamen Geschichte gestillt werden kann.
Was dem Menschen in instabilen Zeiten aber seit jeher Orientierung und Trittsicherheit ermöglichte ist Ideologie – im Sinne von Idee, also das an eine soziale Gruppe, eine Kultur gebundenes System von Weltanschauungen, Grundeinstellungen und Wertungen. Cohousing kann in dieser Hinsicht kein ideologiebefreites, mäanderndes Irgendwie-Zusammenleben sein, wenn das Verlangen nach Beständigkeit, Verlässlichkeit und Stabilität befriedigt werden soll. Welchen theoretischen Unterbau, welche Verfassung, welche Werthaltung hat also das pragmatische Cohousing? Cohousing ist in diesem Sinne nicht reduzierbar auf
- eine vorübergehende Bleibe, bevor sich etwas Besseres ergibt
- eine Kinderaufzuchtsanstalt – es ist keine vorübergehende Veranstaltung bis zum Kindergartenalter, bis Schulbeginn, -wechsel oder -abschluss
- eine Art Demenzdorf, wo man im gebrechlichen Alter seine Zeit abwohnt
- eine Pensionsversicherungsanstalt, in der man günstig leben kann, wenn die Wohnung abbezahlt ist
- eine Studentenbude, in der man die freien wilden Jahre verbringt
Selbst die hemdsärmelige pragmatische Umformung zum Cohousing konnte einen Grundgedanken, der allen Kommunen, Ordensgemeinschaften, Kirchen, Sanghas, etc. innewohnt, nicht vernichten: den Willen zur Kooperation. Der Mensch ist ein auf Gemeinschaft und Kooperation angewiesenes Lebewesen, er vermag zwar auf einer einsamen Insel als Robinson zu überleben, ist dann aber weit davon entfernt zu Leben. Richard Sennett hat diese These in seinem 2012 auf Deutsch erschienen Buch „Zusammenarbeit. Was unsere Gesellschaft zusammenhält“ entworfen.
Der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer war wesentlich pessimistischer, was das Zusammenleben von Menschen betrifft. Er entwarf dazu eine Parabel von den Stachelschweinen:
Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich, an einem kalten Wintertage, recht nahe zusammen, um, durch die gegenseitige Wärme, sich vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln; welches sie dann wieder voneinander entfernte. Wann nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammen brachte, wiederholte sich jenes zweite Übel, so dass sie zwischen beiden Leiden hin und hergeworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung von einander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten.
Schopenhauer behauptet, dass die innere Leere der Menschen dazu führt, dass die Menschen eine Gesellschaft bilden, um diese Leere zu füllen. Sie werden aber alsbald von schlechten Charakterzügen der anderen belastet (die Stacheln der Stachelschweine). Dagegen sind Menschen, deren Inneres ausgefüllt ist, auf die Gesellschaft anderer nicht angewiesen.
Cohousing braucht ein klares Bekenntnis zu Gemeinschaft und Kooperation, den Willen an der Entwicklung der Gemeinschaft beizutragen und fordert von Jedem die Bereitschaft sich längerfristig an einen Ort zu binden. Cohousing ist trotz steigender Beliebtheit weit weg vom Mainstream, es braucht Wagemut und Risikobereitschaft, um der Welt und den nächsten Generationen zu beweisen, dass eine lebenslustige Kooperation möglich ist und das Schopenhauer unrecht hat.