Die Grundlage für diesen Blogeintrag ist dem Protokoll zum philosophischen Spaziergang vom 1.10.2020 entnommen, bei dem Anja, Gregor, Marianne und Reinhard teilgenommen haben.
Gefunden wurden
folgende Grundzutaten für eine Definition: Gemeinschaft ist absolut.
Kein Lebewesen kann ihr entkommen. Die Größe der Gemeinschaft
regelt die Intensität der Achtsamkeit gegenüber den Anderen. Unter
den BewohnerInnen einer Stadt ist sie in der Regel weniger intensiv, als in
einer Familie. Weil die Gemeinschaft eben absolut ist, ist sie
gleichzeitig auch eine Bedrohung für das Individuum, das ja
definitionsgemäß nur durch Abgrenzung existieren kann. Was
beim Spaziergang unberücksichtigt blieb, ist der Einfluss der Architektur, also wie die Umgebung gestaltet ist. Architektonisch gestaltete Begegnungsmöglichkeiten stellen erst die Grundlage dafür her,
dass man sich sieht und beeinflussen auch die Häufigkeit der Begegnung.
Zwischen kleineren Gemeinschaften, die immer in größeren eingebettet sind, muss das Prinzip der Subsidiarität (Ebene der Regulierungskompetenz so niedrig wie möglich) gelten, um eine seltsam anmutende Uniformität zu vermeiden. In Reih und Glied in Heeresstärke zu marschieren ist eigentlich nur durch Androhung von Gewalt möglich oder durch fixe Ideen - eine Art von Besessenheit durch moralische Vorstellungen und daraus abgeleiteten Geboten -, die auf einem für das Individuum bedrohlichem Hintergrund affichiert werden (Ächtung/Verbannung/Folter/Hinrichtung/Hölle). Will man das vermeiden und überlässt es den Individuen die Regeln des Gemeinschaftslebens frei auszuhandeln und zu vereinbaren, handelt es sich immer um eine fragile Gemeinschaft oder ein Kollektiv, das ständig von Zerfall bedroht ist. Wegen des höheren Freiheitsgrades - im Vergleich zur Tier- oder Pflanzenwelt - sind stramm geregelte menschliche Kollektive in Heeres- oder Nationenstärke ohne Subsidiaritätsprinzip langfristig nur durch Drohgebärden herstellbar.
Die Regeln einer Gemeinschaft sollen einerseits Verletzungen im Verkehr der Menschen untereinander reduzieren - auf absolute Sicherheit können und sollen sie nicht abzielen, denn die Sicherheit erwürgt allmählich die Lebendigkeit einer Gemeinschaft. Andererseits dienen Regeln der Gerechtigkeit und sollen zu einem möglichst fairen Lastenausgleich in der Gemeinschaft führen. Ist man auf einen raschen Ausgleich von Leistung durch Gegenleistung aus, oder schränkt man den Gestaltungsspielraum des Regelwerks ein, innerhalb dessen ein Ausgleich akzeptabel erscheint, werden Regeln enger definiert. Damit bekommt die Gemeinschaft oder das Kollektiv mehr Wucht und die Lebensgestaltungsmöglichkeiten der Individuen nehmen ab.
Das individuelle Leben wurde und wird nicht nur von Kollektiven eingeschränkt, es gab und gibt auch Superindidividuen mit einer Machtfülle, die große Auswirkung auf das Einzelwesen hat. Dabei generiert ein Einzelner riesige Machtressourcen (Rückhalte- oder Staubecken, die ausgleichende Bewegung lange Zeit verhindern können). Bis zum Ende der Feudalherrschaft war es fast ausschließlich das Gewaltmonopol, durch das ein Einzelner die Vielen in seiner Hand hatte. Seither häufen sich Versuche die Vielen durch ein Kapitalmonopol zu kontrollieren – weswegen die ökonomische Idee der unsichtbaren Hand (in Adam Smith "Der Wohlstand der Nationen") in Misskredit gekommen ist.
In einer
Gemeinschaft, in der großes Machtungleichgewicht verhindert werden soll,
finden ausgleichenden Schaukelbewegungen ohne Unterlass statt. Man verlässt sich nicht auf eine unsichtbare Hand, sondern auf die Kombination zwischen aufmerksamer Beobachtung sozialer Prozesse und einem gut trainierten Gerechtigkeitsempfinden.
Mit rücksichts- oder verständnislosen Individuen lässt sich keine Gemeinschaft bilden. Das Kollektiv benötigt die Kultur der Toleranz,
also die Duldung der Grenzen die der Andere zieht und das ertragen einer Abweichung vom Äquilibrium. Das Äquilibrium ist der Zustand der
als angenehm erlebten Intimität. Es ist der Kompromiss
zwischen einer Annäherungs- und einer Vermeidungstendenz in der
Interaktion zwischen Personen. Dieser Begriff konnte auf unserem gemeinsamen philosophischen Spaziergang nicht
mehr näher untersucht und in Beziehung zum eigentlichen Thema
gebracht werden, obwohl Abgrenzung und Annäherung für Gemeinschaften höchst bedeutsam sind.
Weiterführende Informationen zum Format Philosophischer Spaziergang