Nur in einem engen Verhältnis zur Welt, zu langjährigen Begleitern, entdeckt man allmählich Sinn und Zweck des eigenen Lebens. Nur wer lange genug beim Maskenball teilnimmt, bis nach Mitternacht, wenn die Kostümierungen sich allmählich auflösen, entdeckt mit wem da gemeinsam die ganze Nacht getanzt wurde.
Gegen das Ende des Lebens nun gar geht es wie gegen das Ende eines Maskenballs, wann die Larven abgenommen werden. Man sieht jetzt, wer diejenigen, mit denen man, während seines Lebenslaufes, in Berührung gekommen war, eigentlich gewesen sind. Denn die Charaktere haben sich an den Tag gelegt, die Taten haben ihre Früchte getragen, die Leistungen ihre gerechte Würdigung erhalten und alle Trugbilder sind zerfallen. Zu diesem Allen nämlich war Zeit gefordert.
Es braucht Zeit bis die Trugbilder zerfallen - auch jene, die die eigene Person betreffen. Neben der Zeit gibt es noch andere hinreichende Bedingungen, die das Zerplatzen der bunt schillernden Seifenblasen beschleunigen und ihre Leere enthüllen. Genannt werden müssen, die Intimität und Frequenz der Beobachtungen, sowie der Grad der Reflexionsfähigkeit des Betrachters, also die intellektuelle Schärfe und Redlichkeit der Schlussfolgerungen aus den Beobachtungen.
Die aus diesen Überlegungen abgeleitete These lautet: Blender und Möchtegernrädelsführer haben es in funktionierenden Gemeinschaften schwer ihre Propaganda und die Inszenierung ihres falschen Selbstverständnisses wirkungsvoll auszuleben. Unter funktionierenden Gemeinschaften verstehe ich demokratisch organisierte, die im lebendigen ununterbrochenen wechselseitigen Austausch miteinander stehen und der intimere Blicke erlaubt als Gemeinschaften, die sich aus relativ dicht abgeschotteten individuellen Lebenswelten heraus entwickeln. Wenn ich nun in einem Gedankenexperiment zu junge, zu schöne, zu intelligente Personen aus dem politischen Milieu der jüngeren österreichischen Geschichte im Cohousingprojekt Lebensraum defilieren lasse, kann ich mir kaum vorstellen, dass sie all zu lange als gehypte Schwiegersöhne/Töchter überlebt hätten. Wer allzu lange auf einem wildwüchsigen Maskenball bleibt, der wird ent-deckt.
Wer Gefahr läuft zum hysterisch kreischenden Fan und Groupie einer grandiosen Personen des öffentlichen Lebens zu werden, der ist gut beraten, die allernächsten Angehörigen der Berühmtheit zu befragen, sofern sie keinen Argwohn gegen die Person hegen (Redlichkeit), halbwegs intelligent sind und tatsächlich - nicht nur auf dem Papier - viel Zeit mit der berühmten Person verbracht haben. Genau aus diesen Quellen speisen sich Enthüllungsbücher.
Für die üblichen namenlosen und leicht verspotteten Normalos, die unter der tyrannischen Intimität der eigenen Familie aufgrund des seit beinahe einem Jahr andauernden Lockdowns leiden, gibt es Trost: Bald kommt wieder die Zeit der Maskenbälle und Illusionen.