Vom Alter und altern in einem Gemeinschaftsprojekt

In Gemeinschaften gelten die drei englischen P's als toxisch: Pets-Partnership-Parenting. Haustiere, Geschlechtsbeziehungen, Kinder und Elternschaft sind die häufigsten Auslöser für Konflikte in engeren nachbarschaftlichen Beziehungen. Vielleicht sollte ein viertes P für "Pensioner" (engl.) hinzugefügt werden, denn das Zusammenleben von Alt und Jung liefert zusätzlichen sozialen Sprengstoff.

Rund um unseren Innenhof ist die Dichte an Wohnungen, in denen Menschen im Ruhestand wohnen, besonders hoch. Kein Wunder, dass das das vierte P ins Auge springt, wenn genau dort der Konflikt um eine Ruhezone entbrennt. Weiterer Zündstoff entsteht in Zeiten eines verordneten Lockdowns, wenn verzweifelte Eltern ihre Kinder in jeden "englischen Garten" schicken, den sie in der Umgebung finden können. 

Nachdem die Frucht seiner Lenden bereits zum vierten oder fünften mal vom Innenhof wegbugsiert wurde, entzündet ein entnervter Vater das Pulverfass mit einem Rundmail an die Gemeinschaft: "Damit das Thema Ruhezeiten im Innenhof, das uns seit fast zwei Jahren begleitet, abgeschlossen werden kann, wollen wir gerne einen goldenen Zankapfel in den Innenhof rollen, der alleine demjenigen gehören soll, der exklusiven Anspruch auf den Innenhof erhebt."

Die Sehnsucht nach Ruhe ist ungleich verteilt; sie ist selten bei Kindern, schon öfter bei Eltern, aber am häufigsten bei älteren Menschen anzutreffen. Immerhin ist sie bei allen dann und wann vorhanden und kann bei großzügiger Auslegung als gemeinsames Gut bezeichnet werden. Eine eskalierende Rivalität zwischen Alten und Jungen scheint also in dieser Frage nicht notwendig vorgezeichnet zu sein. Das Altenbashing hat aber noch mehr Schlagstöcke im Repertoire, gelten Alte doch als "eigensinnig, ängstlich, jähzornig, schwierig und geizig". Dort wo diese Vorurteile in der Person eines alten Menschen ihre Bestätigung finden, finden wir auch erklärende Entschuldigungen: der Betroffene fühlt sich gering geschätzt, verachtet oder verspottet. Das sind Entschuldigungen, aber keine Rechtfertigungen für diese wenig schätzenswerten Verhaltensweisen! Sie liefern jedoch einer Gemeinschaft wichtige Hinweise, wie man älteren Menschen keinesfalls begegnen sollte, wenn man einen Generationenkrieg vermeiden will - einige unserer Kinder haben aber genau das getan; sie haben begonnen, die Älteren geringzuschätzen und sie zu verlachen. Für sie gilt das Gleiche, wie zuvor: es findet sich Entschuldigungen, aber keine Rechtfertigungen. Wobei die Bereitschaft zur Entschuldigung zumeist höher ausfällt, weil sie ja nicht die reife Lebenserfahrung der Alten haben können. Für den älteren Menschen gelten strengere Beurteilungskriterien. 

Der römische Politiker, Anwalt, Schriftsteller und Philosoph Cicero (106-43 v.Chr) meint in seiner Schrift "Über das Alter", das solche Verhaltensweisen "ein Fehler des Charakters, nicht des Alters" seien. Er gesteht zu, dass der gebrechliche Körper ein Ärgernis ist und Verbitterung hervor ruft, mahnt uns aber:

"Strenge im Alter lasse ich mir gefallen, doch wie bei anderen Dingen nur mit Maßen; keinesfalls billige ich Verbitterung. Was aber Geiz im Alter soll, das sehe ich nicht ein. Kann es denn etwas Unsinnigeres geben, als dass man um so mehr Reisegeld zu bekommen sucht, je kleiner der Rest des Reiseweges ist?"

Ein Alter, das sich verteidigen muss, nennt er beklagenswert. Ansehen kann man sich nicht plötzlich erwerben, wenn man graue Haare oder Falten bekommt, sondern das Ansehen steht auf dem Fundament der Jugend: "ein schon früher in Ehren gelebtes Leben erntet am Ende die Früchte des Ansehens." Als Insignien für ein ehrenvoll geführtes Leben nennt Cicero:

  • dass man uns grüßt
  • dass man uns Platz macht
  • dass man uns aufsucht und um Rat fragt

Die Aufgabenliste während des Lebens ist also recht lange und bedenklich, damit die Früchte des Alters empfangen werden können. Das Cohousingprojekt Lebensraum belohnt diese Anstrengungen jedoch auch mit Ressourcen, die ältere Menschen für gewöhnlich noch ein wenig mehr schätzen als jünger. Die Tischgesellschaft mit Freunden z.B. während der gemeinsamen Abendessen, denn sie ist eine Verbindung des Lebens, welche die Römer treffend als Lebensgemeinschaft bezeichneten. Nicht zu vergessen, die Freuden des Gartenbaus, die sich im Grünland materialisieren können.

Ein Umstand, der die Älteren mehr einschüchtert als die Jungen, ist die Angst vor dem Tod, weil er gewiss nicht mehr weit entfernt ist. Auch dazu hat Cicero bemerkenswertes in seiner Abhandlung "Über das Alter" zu sagen, aber das führt an dieser Stelle zu weit und muss dort nachgelesen werden, denn die Muße zur Wissenschaft hat im Alter endlich die notwendige Ruhe und Selbstbeherrschung dazu.