Tischgemeinschaft - aus Liebe zum Leben

Eine Tischgesellschaft ist eine Verbindung des Lebens, welche die Römer treffend als Lebensgemeinschaft bezeichneten.

Ach, was haben wir hier im Lebensraum drei Jahre lang herumprobiert, bevor uns der schneidige amerikanische Pragmatismus in Gestalt von Charles Durrett im Jahr 2008 den Weg zu einer Kochgruppe gewiesen hat, die bis heute regelmäßig für gemeinsame Abendessen sorgt. Das Konzept war einfach, geradlinig und existentiell: take it, or leave it; koch mit und iss mit, oder koch dir zu Hause dein eigenes Süppchen.

Essen ist die Grundlage für unsere körperliche Existenz und daher Ziel-eins-Gebiet der Entwicklung kultureller Errungenschaften. Mein Verhältnis zur Nahrung, zu dem was mich nährt, ist eine genauere Betrachtung wert. Essen heißt, die Trennung zwischen Innen und Außen aufzuheben, wenn wir uns die Nahrung einverleiben. Denn während des Verdauungsprozesses wird sie ein Teil von uns. Essen ist ein erotischer Akt. Ein Akt, der uns mit etwas Anderem verbindet - "ich habe dich zum Fressen gern!" Nachdem Platon behauptet, dass die Lust ein Köder für das Böse sei, ist es gescheit dem Essen und der Sexualität ein kulturelles Gewand überzustülpen. Platon hat diesen Gedanken ausgebrütet, lange Zeit bevor der "Kannibale von Rotenburg" geboren und später zum Täter wurde.

Jedoch, sich gegen eine Amputation der sinnlichen Erfahrung durch einen strangulierenden Moralkodex zu wehren, heißt sich mitten ins Leben zu stellen, es zu kosten und zunächst Gefallen am Geschmack der Speisen zu finden. Sofern man den "Köder des Bösen" vermeiden und das Suchen nach zivilisierten Formen der Lustmaximierung nicht aufgegeben will, findet man sich zwangsläufig im Themenkomplex Ethik und Politik (das Gemeinwesen, die Polis) wieder. 

Genauso wie gute Laune oder Höflichkeit Tugenden sind, die das Miteinander und Mit-der-Welt-Sein angenehmer und harmonischer machen, zählen Geschmackssinn und Esskultur zu Tugenden, die das Essen zu einem Fest des Lebens machen: "Eine Menschheit, die den Geschmackssinn verloren hat, sieht das Böse, das sie anrichtet, nicht mehr." (Corinne Pelluchon, frz. Philosophin).

Gleich wie Speisen, Getränke und die Atmosphäre im Raum, sind die Tischgenossen mitentscheidend für den Genuss. Gut Essen unterscheidet sich daher von der gierig-praktischen Nahrungsaufnahme durch seine ethisch-kulturelle Form. Alleine vor dem Flachbildschirm zu knabbern oder im Büro den Sandwich hinunterzuschlingen ist die Verstümmelung einer Esskultur, zu der Menschen potentiell fähig wären.

Ein Leben in einem hermetisch abgeschlossenen Raum, eine Existenz als fensterlose Monade ist nicht möglich. Die Abdichtung gegenüber, der mitunter lärmenden Welt, führt zu Winterschlaf, Solipsismus und Orientierungslosigkeit. Alle Lebewesen sind abhängig vom Stoffwechsel. Und alle haben einen Körper, der sich zwar durch seine räumliche Abgrenzung definiert, aber porös genug sein muss, um am Leben zu bleiben.

Wenn eine tiefere Liebe zum Leben Partei ergreift, folgt ihr die eigene Mäßigung auf dem Fuß. Eine Tischgemeinschaft beispielsweise beschränkt die Gier nach eigenem Lebensraum. Die Akzeptanz der Tatsache der eigenen Begrenzung inmitten einer Gemeinschaft generiert allmählich Affekte der Fülle. Wer anderes glaubt und denkt, der glaubt auch daran, dass sich Brot und Fische in der Geschichte der wundersamen Brotvermehrung materiell tatsächlich vermehrt haben und sich vier- oder fünftausend Menschen die Bäuche vollschlagen konnten. Die anderen denken das Ganze vielleicht subtiler durch und können der Behauptung des römischen Politikers, Anwalts, Schriftstellers und Philosophen Marcus Tullius Cicero etwas abgewinnen: "Daher bin ich dem Alter sehr dankbar, dass es mein Verlangen nach Gesprächen vergrößert, das nach Trank und Speise dagegen beseitigt hat." 

Nun ist es aber bei unserer pragmatischen Kochgruppe keinesfalls so, dass die Köchinnen und Köche nicht den Ehrgeiz entwickeln alle zweieinhalb Kilo schwerer zu machen, weil ihnen Speis und Trank bekömmlich und begehrenswert erscheinen. Der Pragmatismus der Kochgruppe nährt sich aus der schlichten Tatsache, dass eine Mitgliedschaft Zeit, Geld und Energie durch Synergieeffekte spart. Der Ehrgeiz der Köch:innen jedoch entwickelt sich entlang ihrer Liebesbedürftigkeit, denn sie wissen: "Die Liebe geht durch den Magen."