So gekommen, so gegangen

Es gibt Menschen, die eine signifikante Lebenszeit in einem Gemeinschaftsprojekt zubringen, ohne dass die transformatorischen Kräfte dieser Lebensform an ihnen bemerkbar werden. Wie gelingt es ihnen sich vor der Verwandlung zu schützen?

Vor zehn Jahren rief mich eine junge Frau an, um sich nach dem Für und Wider eines Lebens in unserem Gemeinschaftsprojekt zu erkundigen. Unter dem Für subsumierte ich Ressourcen wie aktive Nachbarschaftshilfe, gemeinschaftliche Projekte, unter anderem die Kochgruppe und andere Interessengemeinschaften wie die Yoga- oder Trommelgruppe. Beim Wider erwähnte ich Konflikte, als eine Folge unterschiedlicher Standpunkte und Wertvorstellungen. Diese werden ungefragt mitserviert, wenn  Menschen enger zusammenleben, die nicht durch familiär beziehungsweise kulturell tradierten Formen oder Ordensregeln normiert wurden. Um an diesen gemeinschaftlichen Bitterstoffen Geschmack zu finden, muss man den Aufenthalt im gemeinschaftlich organisierten Menschenpark als Abenteuer begreifen, das man freiwillig gewählt hat, weil man die Hoffnung hegt, dies könnte zu einem schönen Leben führen. Ihre Reaktion darauf erstaunte mich, denn sie wirkte fest entschlossen, so ein Leben auszuprobieren.

Sie kam nicht alleine, sondern war alleinerziehende Mutter eines Kindes. Der telefonisch übermittelten Entschlossenheit, folgten aber keine Taten. Ihre neurotisch induzierte Unfähigkeit für sich und ihr Kind klare Strukturen zu schaffen schrie geradezu nach paternalistischer Hilfestellung und externer Führung, aber niemand hatte Lust dazu in so eine Rolle zu schlüpfen. Ein paar Jahre später fand sie so jemanden; den "Führer aus Berlin", der aber die geographische Distanz wahrte und nur alle paar Monate für ein paar Tage mit seiner Limousine anrollte. Wenn er da war, wusste ich das, weil sie mich dann immer um eine Zigarette bat, damit die Präsenz des Führers erträglicher wurde. Ihre Desorganisation machte es ihr Unmöglich sich im Menschenpark zu engagieren, sich umzusehen und stabile Beziehungen aufzubauen. Ein Gemeinschaftsprojekt ist keine Heilanstalt, in die man hereinspaziert und sich operieren lässt, um nach der Narkose geheilt zu erwachen. 

Im gemeinschaftlich organisierten Menschenpark muss man auf seine sieben Sachen selbst acht geben können, damit man für die achte Sache - das Gemeinschaftsleben - Zeit und Raum hat. Die achte Sache hat transformatorische Kraft, denn dort entkommt man den sieben Gitterstäben des Ich und denkt hin und wieder politisch. Man ruminiert dann im besten Fall über das Wesen des Menschen. Zumeist aber überspringt man diese sperrige Analyse und fabuliert darüber, wie Gemeinschaft gelingen kann. Die nunmehr nicht mehr ganz so junge Frau hat es nie soweit gebracht, denn innerhalb ihrer sieben Gitterstäbe tobt bis heute ein Sturm, der ihre Nerven strapaziert und häufig überlastet. 

Aber auch bei Menschen, die ihre sieben Sachen tipptopp organisiert haben, kommt es zu einer Verwandlungsimmunität. Die Windstille (man könnte auch Einsamkeit dazu sagen) innerhalb ihres Vorzeige-Ich-Gefängnisses ist häufig ein Grund, warum sie sich in den Windpark von Gemeinschaftsprojekten begeben. Sie wagen es dann, sich der achten Sache zu nähern, werden dann aber von den Windböen der fast obligatorisch auftretenden Konflikte überrascht und ziehen sich sofort in ihren windgeschützten Innenraum zurück. Oder sie kommunizieren mit den anderen Menschenparkbewohner:innen durch ihre Gitterstäbe hindurch. Zumeist vergeblich, weil  die agileren Exemplare nicht länger als notwendig in der Nähe ihrer windstillen und faden Käfige bleiben wollen.