35 Jahre gehören geklärt - ein Gemeinschaftsprojekt feiert einen runden Geburtstag

Wenn ein Gemeinschaftsprojekt sein 35 jähriges Jubiläum feiert und einen Philosophen einlädt sich Gedanken zu machen, kommt er vielleicht auf sonderbare Ideen: Er überlegt was mit einem Anfängergeist im Lauf der Zeit passiert, wenn man nicht achtgibt und phantasiert von unwillkürlichen Absetzbewegungen und Schwebstoffen.

Der trotzige Zeitgeist der 80er

In den 80ern hatte man noch Illusionen und etwas, auf das man trotzig reagieren konnte: Auf den eisernen Vorhang, auf die verbliebenen Reste einer schwülstigen Bürgerlichkeit, die nach dem Sturmwind der 68er noch immer träge über dem Land hing und natürlich gegen die Dumpfheit einer Gesellschaft, die bis heute unsensibel genug ist, um nicht zu wissen wann es genug ist. Der einzige Ort, der mir neben der Ökosiedlung einfällt, an dem diese drei Trotzigkeiten auch versammelt wurden ist Rom.


Fest am Badeteich 2007
Fest beim Saunahaus am Badeteich 2007

Das gute Leben ertrotzen

In Rom wurden 1957 die römischen Verträge unterzeichnet, um Westeuropa zu einem Solidarblock gegen den bösen Ostblock zu vereinen. Er sollte Grund- und Freiheitsrechte, den Frieden, sowie sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt garantieren – es ist das Gebilde, das wir heute als Europäische Union bezeichnen. Während sich damals nur sechs Staatenfamilien – Belgien, die BRD, Frankreich, Italien, Luxenburg und die Niederlande – zu diesem Projekt zusammenschlossen, waren es hier in der Ökosiedlung fast dreimal so viele souveräne Familien. Wo im Ostblock eher der Schlagstock durch die Luft schwirrte, wurde in der Ökosiedlung der Redestab herumgereicht und in Rom die Brennstäbe der europäischen Atomgemeinschaft EURATOM, die gleichzeitig mit der EWG, der europäischen Wirtschaftsgemeinde, gegründet wurde.

Die sexuelle Befreiung ertrotzen

Im Rom erschien rund um das Jahr Null ein aufsehen erregendes Werk Namens "Ars amatoria" - „Kunst des Liebens“. Der römische Dichter Ovid störte mit diesem Werk die von Kaiser Augustus verordnete prüde Sittlichkeit und wurde nach Tomis am Schwarzen Meer im heutigen Rumänien verbannt. Und das bloß, weil er sich folgende drei Fragen stellte: 

1. Wo kann ein Mann in Rom ein Mädchen kennenlernen?
2. Wie kann ein Mann ihre Liebe gewinnen?
3. Wie kann ein Mann sich seine Geliebte erhalten?

Trotz der immerwährenden Verbannungsgefahr, stellte man sich in der Ökosiedlung rund zweitausend Jahre später dieselben Fragen, sobald man nackt in der Sauna hockte. Begleitet durch Gitarrenmusik sinnierte man gemeinsam abends am Lagerfeuer darüber, wie Männlein und Weiblein zu einem ordentlichen Verhältnis kommen, oder spätnachts; wenn Bewohner:innen gepeinigt von diesen existenziellen Fragen durch die Siedlung schlichen. In einem ländlichen Milieu, das Karl Marx mit "Idiotie des Landlebens" charakterisierte, sprach sich rasch herum, dass die Ökosiedlung ein Ort ist, wo die Fragen des Ovid zirkulieren. Bis heute weisen sämtliche Zeigefinger in Richtung Ökosiedlung, ähnlich wie alle Straßen nach Rom führen. Als im Jahr 2005 noch völlig ortsunkundige Bewohner:innen der vis-a-vis errichteten CoHousing-Siedlung Lebensraum Taxifahrern den Weg nach Hause beschreiben mussten, konnten sie ihre geographische Unkenntnis durch das Zauberwort "zur Ökosiedlung" kaschieren und gelangten auf dem schnellsten Weg heim, denn jeder Taxifahrer in der Gegend weiß bis heute wo die Ökosiedlung liegt.

Das ökologische Bewusstsein ertrotzen

In der ewigen Stadt wurde 1968 ein Klub gegründet. Sie nannten ihn "Club of Rome" und dieser sah  1972 die Ewigkeit durch das Gebaren der Menschen in Gefahr und erinnerte an die Grenzen des Wachstums. In der Ökosiedlung sah man das ähnlich, war aber radikaler als die in Rom, weil bereits der Klubname die Programmatik verrät: Ökosiedlung. Hier ging man nicht zur römischen Latrine, oder auf ein englisches "Water Closet", sondern trat den langen oder kurzen Gang zum Kompostklo an. Man trotzte dem verschlafenen Zeitgeist, der behäbig wie ein Erstklässler die Buchstaben der Botschaft des „Club of Rome“ entzifferte, errichtete eine Schilfkläranlage und nutzte den in Zisternen gesammelten Regen als Waschwasser und zur Gartenbewässerung. 

Die Kläranlage wurde zum Tabernakel der Ökosiedlung, als die Stadtgemeinde Gänserndorf einen Rechtsstreit um den Zwangsanschluss an das kommunale Abwassersystems begann. Einfache Dinge verwandeln sich zu okkulten Gegenständen mit besonderer Aura, wenn sie durch menschliche Handlungen mit Bedeutung aufgeladen werden. Die Kläranlage der Ökosiedlung mutierte vom übelriechenden Ort individueller Absonderungen, zu einem Tabernakel aus dem der Gemeinschaftsgeist aufstiegt. Mag sein, dass Rom einen Triumphbogen hat, die Ökosiedlung hatte nach dem Sieg am Verwaltungsgerichtshof einen schilfbewachsenen Triumphhügel und einen Nußschalenharten Gemeinschaftsgeist, an dem sich der träge Zeitgeist die Zähne ausbiss.

Die Stadtgemeinde Gänserndorf hätte besser in der chinesischen Anleitung "Die Kunst des Krieges, dem Sunzi, blättern sollen. Dort steht: „Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen.“ 

Wie aus Dispersion, Immersion wird

Plakat zum 35 Jahr Jubiläum
Plakat zum 35 Jahr Jubiläum
Während das Wort Dispersion für die feinste Verteilung und Zerstreuung eines Stoffes auf einem anderen steht, bedeutet Immersion Eintauchen, Untertauchen, Versenken. Die zentrale Würze der weiteren Ausführungen besteht in der folgenden These: In den vergangenen 35 Jahren sind beinahe alle drei Trotzköpfe der 1980er Jahre allmählich untergetaucht. Mal sehen, ob die These auch Aroma entfalten kann oder nur geschmacklos ist.

Untergang des ersten Trotzkopfs

Schwingen die Ökosiedler denn noch den Redestab und zerbrechen sich die Köpfe darüber, wie ein gutes Leben in Freiheit und Frieden in einer Solidargemeinschaft entstehen kann? Vielleicht sind sie allmählich in den gleichen Trott wie die EU verfallen. Nachdem der eiserne Vorhang Anfang der 1990er Jahre versenkt wurde, kochte das einst erstaunliche Projekt der Europäischen Gemeinschaft, dem 2012 noch der Friedensnobelpreis verliehen wurde, die grenzenlose Anzahl der Fragen nach dem guten Leben auf ganz wenige ein: Geld, Status und Ansehen sollten als Geschmacksträger für das gute Leben genügen. Die wirtschaftliche Frage ist unbestritten eine zentrale und wichtige, aber die ethische Frage, ausschließlich aus ökonomischer Perspektive, oder durch eine rosarote Begeisterungsbrille für aktuelle Moden zu betrachten, ist dumm. Das altgriechische Wort „Ethos“ wird übersetzt mit Charakter, Wesensart, Sitte, Herkommen. Wenn ausschließlich Geld und Status unsere Sitte und Wesensart bestimmen sollen, dann wird aus dem Saunahaus der Gänserndorfer Ökosiedlung eine Finca auf Ibiza und aus dem Kläranlagenwart ein Vorstandsvorsitzender, der seinen Obmann liebt, weil er ihm diese hippe Position ermöglicht hat. Das scheint mir nach meinem letzten Saunabesuch im März dieses Jahres nicht der Fall zu sein und die Kläranlage ist wahrscheinlich auch kein Vorstandsbüro. Aber hat man in den letzten Jahren in der Ökosiedlung den Fragenkatalog zum guten Leben leidenschaftlich erweitert, oder verwaltet man nüchtern und pragmatisch den Bestand?

Exkurs: Die Frage des Ethos drängt sich dieser Tage mit einer Vehemenz auf, dass auch die Insel der seligen Ökosiedler davon bald überflutet werden wird. Der Identitätsverlust, der einem einbeinigen Liberalismus auf dem verbliebenen ökonomischen Interessens-Fuß folgt und der uns eine Orientierungsreaktion abverlangt, die über das bundespräsidentielle „So sind wir nicht“ hinaus geht, erscheint dieser Tage in Gestalt eines Herbert Kickls und Wladimir Putins. Die wissen wer sie sind und zwingen uns aufzutauchen, um zu erfahren wo wir sind. Vielleicht wächst uns dann wieder ein Trotzkopf, weil uns die Gegend nicht gefällt. 

Untergang des zweiten Trotzkopfs

Wenn man in starrsinniger Absicht heutzutage nackt die Hochwaldstraße betritt, oder ins Cafe Hawelka spaziert, wird einem kein Lied mehr gewidmet. Die sogenannte sexuelle Befreiung der 68er Generation steht reglos auf irgendeinem Abstellgleis – vielleicht sogar auf dem Gelände des Heizhaus Strasshof. Die damalige Befreiungslust – die sogar soweit ging pädophile Neigungen als Befreiungsbewegung zu deuten – gründete auf einer falschen Annahme. Das gute Leben, so stellte sich bald heraus, lässt sich nicht durch Promiskuität herstellen. Wenn ein Swingerklub in einem umgebauten ehemaligen Schweinestall in Niederbayern untergebracht wurde – wie mir kürzlich ein pensionierter Bauingenieur erzählte, der im Nachbargebäude einen Brandschaden inspizierte – so wird der Ruf der Schweine ruiniert. Physiologisch sind sich Schwein und Mensch sehr ähnlich, aber im großen Gehirn des Menschen können sich Ideologien einnisten, die behaupten, man könne sich das gute Leben herbeivögeln. Sicher ist das eine schillernde Idee, die ihre größte Wirkkraft aber nur dann entfalten kann, wenn zuvor eine viktorianische Spießbürgerlichkeit den Sex über 100 Jahre tabuisiert hat, sodass Sigmund Freud auf die Idee verfiel das Reservoir des Unterwussten speise sich fast ausschließlich aus sexuellen Phantasien. Die Idee einer sexuellen Befreiung ist antiquiert.

Da der Mensch ein vielfältig zusammengesetztes Wesen ist, kann er auch Vielfältiges begehren und gibt sich nicht mit einseitiger sexueller Diät zufrieden. Seitdem man den Menschen – zumindest im Westen – den sexuellen Spielraum wieder ausgehändigt hat, nimmt die drängende Lust am Sex allmählich ab, sofern sie nicht durch die Werbeeinschaltungen der Sexindustrie künstlich in eine zwänglerische Höhe gepusht wird und sich das Leben noch andere Mußelandschaften erschlossen hat, in denen ein Fremdkörper darauf wartet als kongenialer Partner entdeckt zu werden. In der CoHousingsiedlung Lebensraum beispielsweise, finden Menschen das Singen, Legospielen, die Bienen oder die Philosophie erotisch und mir ist zu Ohren gekommen, dass jemand in der Ökosiedlung den Verdacht geäußert hat, der Ehepartner sei mit der Kläranlage verheiratet. 

Man sieht also, dass dem Begehren das Objekt seiner Begierde ziemlich wurscht ist – das ist jetzt leider wieder eine Metapher die Schweine beleidigen könnte. Otto Bismarck soll einmal gesagt haben: "Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie!" Das gleiche gilt für das Begehren. Sobald unser Begehren rechenschaftspflichtig wird, gerät es ins Stocken. Begehren ist der Fast Forward Modus des Menschen. Durch das Begehren springen wir kopfüber in den Badeteich und tauchen unter. Herrlich! Herrlich an einem heißen Sommertag oder als erfrischende Abkühlung nach dem Saunagang. Aber in Zeiten, wo wir zum Schutz der Erde, auf der wir wohnen, eher den energetischen Pazifismus begehren sollten, als mit rastloser und unbewusster Bewegung die Atmosphäre aufzuheizen, wird unser ausuferndes Mobilitäts- und Bequemlichkeitsbegehren, wie in den Ölkrisen 1973 und 1980, erneut rechenschaftspflichtig. Diesmal aber hoffentlich nicht wegen dem schnöden Preisanstieg, sondern weil wir allmählich aufgewacht sind und begreifen, dass wir in die Natur eingetaucht und keine von ihr getrennte Dispersion sind.

Untergang des dritten Trotzkopfs

Die Ökosiedler können jetzt schon langsam ihre faulen Gartenparadeiser zücken um sie auf den philosophischen Kopf zu werfen, denn der muss jetzt wahrheitsliebend berichten, dass den allermeisten Ökosiedlern der Gang auf das Kompostklo über die Jahre zu mühsam geworden ist und auch der Betrieb einer Zisterne. Nur die heilige Kläranlage wurde modernisiert. Sie haben jedoch das Windrad, das einst knatternd die verflüssigten Reste ihrer Exkremente im Schönungsteich herumbewegte, durch eine elektrische Pumpe ersetzt. Auf den Dächern wurden einige Solaranlagen zur Warmwassererzeugung abgebaut. Sie erhitzen es jetzt mit Gas und beschweren sich über den lauten Wechselrichter der Photovoltaikanlage der Nachbarn. Was ist passiert, was hat den ökologischen Trotzkopf abtauchen lassen? 

Plakat zum 25 Jahr Jubiläum
Plakat zum 25 Jahr Jubiläum
Nichts Schlimmes, nur das Übliche. Üblich auf der ganzen Welt und in der Natur ist das Erleichtungsprogramm. Alle Organismen sind kreativ und erfinderisch, sie tricksen und versuchen sich das Leben zu erleichtern. Sogar das Anorganische tut es – bis hinunter zum Subatomaren. Fehlt einem Atom ein Elektron oder hat eines zu viel, beginnt es zu begehren und geht Bindungen ein, um es sich leichter zu machen. Blumen verführen die Bienen mit betörendem Duft und prächtigem Aussehen, um sie zu sexuellen Dienstleistungen zu bewegen. Pilze fungieren als Internet der Bäume und werden mit Nährstoffen entlohnt. Alles ist irgendwie gemeinschaftlich organisiert. Die fein ausbalancierte Zusammenarbeit einer Vielzahl ist ein Erleichterungsprogramm, das nachhaltig ist. Diversität ist der einzige ernstzunehmende Garant für das ewige Leben. Aber auch irgendwie anstrengend.

Wie man in der Schwere schwerelos wird

Peter Sloterdijk, der heiterste unter den zeitgenössischen Philosophen, schreibt:

„Die Es geht in den Projekten der Kultur und der Aufklärung weniger um die Ausbreitung von Licht als um die Bewältigung von Gewichten. Seit Menschen den Willen zum Wissen spüren, ist es ihnen nicht sosehr um Erhellungen zu tun als um Erleichterungen – und nur weil es Erhellungen gibt, die Erleichterungen sind oder zu solchen führen, stehen Intelligenz und Einsicht bei ihnen hoch im Kurs.“
Der philosophische Praktiker versteht sich als Transporteur des Schweren, steht aber nicht so hoch im Kurs wie die Erleichterungs- und Verfügbarkeitsprogrammatik der Technik, die Selbstverwirklichungsprogramme der Esoterik und Psychotherapie, oder das Schmerzbetäubungsprogramm der Medizin. Das kommt daher, weil Menschen verständlicherweise die abgrundtiefe Schwere der Existenz scheuen. Sie schnorcheln lieber im Halbschlaf im risikoarmen aber faden Flachwasser. Damit es ihnen weniger langweilig vorkommt, als es in Wirklichkeit ist, nutzen sie die berauschende Wirkung der Beschleunigung. „Speed kills“ the Langeweile und Kritik. Wie großartig sich Beschleunigung und Tachokratie anfühlen kann, weiß jeder, der schon einmal auf einem Motorrad jenseits der 500 Kubikzentimeter-Klasse gesessen ist und den Gasgriff beherzt nach hinten gedreht hat. Wolfgang Schüssel muss vom Rausch der Geschwindigkeit im Porsche von Jörg Haider etwas mitbekommen haben, denn seine Regierung machte den Slogan „Speed kills“ populär. Wir leben in der Spätmoderne, für die die Kultur des Zögerns eine Unkultur ist. Man trinkt Instantkaffee, isst Fertigpizza und lässt die Videos von Tiktok und Youtube-shorts durch das Gehirn rauschen. Geduld hat in der Spätmoderne Ramsch-Status.

Wer in einem Gemeinschaftsprojekt längere Zeit wohnt, der weiß, wie unendlich lange das Palaver dauert, bis eine Entscheidung getroffen werden kann. Rücksichtl und Vorsichtl haben von Haus aus ein schwaches, aber oft weit verzweigtes Nervenkostüm und sind bei fast jeder Sitzung dabei. Manchmal bewundern sie den starken, in der Regel eindimensionalen, Nervenkanal der Beschleunigungs-, Erleichterungs- und Abkürzungsfetischisten. Was bewundert wird, wird häufiger gestohlen, als das, was als Ramsch gilt. Daher stehlen Hin- und Rücksichtl die Nerven der Ungeduldigen und nicht umgekehrt.

In himmlischen Phasen von Gemeinschaftsprojekten lernt man die bunten Nervenkostüme des versammelten Menschenparks zu schätzen. Wenn nicht aus intellektueller Überzeugung, dann aus ästhetischen Gründen. In höllischen Phasen gelingt das nicht und der Nachbar verwandelt sich allmählich zum fremden Feind.

Ökosiedler, CoHäusler, See- und Raumfahrer:innen des Geistes lockt die Begegnung mit den bunten Fischen jenseits des flachen Wassers. Exponierte, ambitionierte und sichtbare Mitglieder in Gemeinschaftsprojekten werden durch das Gemeinschaftsleben herumgeschleudert, und der letzte Fleck aus dem letzten Winkel der Seele tritt zu Tage. Freiwillig würden die meisten nie zu diesen bunten Fischen in den Abgründen der eigenen Seele hinunterschauen. Daher findet man unter Menschen, die in Gemeinschaftsprojekten zu Hause sind, mehr Schwerathlet:innen der Existenz als in Einfamilienhäusern.

Von der Kunst schwerelos zu Denken

Das denkendere Denken, das die Schwere zumindest für Augenblicke schwerelos erscheinen lässt, ist kein instrumentelles Zweckdenken, das sich die Dinge vom Hals schaffen will. Kein Nachdenken über Kontrollmöglichkeiten und Einhegungen von Ehepartnern, Kindern oder Nachbarn, egal ob menschliche, tierische, pflanzliche oder anorganische Nachbarn. Es ist ein Denken, das sich auf das Fremde einlässt, weil es ihm irgendwie bemerkenswert und später vielleicht auch begehrenswert erscheint. Es ist ein geduldiges Denken, das sich Zeit nimmt. Zeit, die es braucht, um mit dem Fremden in einen Dialog zu kommen. Lebenszeit, die der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry zur Zähmung des Fuchs Tag für Tag aufwendet und auf die sich der Fuchs einlässt, obwohl er weiß, dass ihn der neue Freund irgendwann verlassen und der Schmerz da sein wird.